Churchills Heuchelei*Krieg Gegen Stalin

Wie Churchill den Dritten Weltkrieg gegen Stalin plante

Unlängst freigegebene Dokumente entlarven Churchills Heuchelei

Von Vivian Bird

Indem die Westalliierten mit Deutschland die einzige Macht zerstörten, die in der Lage gewesen wäre, die Sowjetunion niederzuringen, schnitten sie sich ins eigene Fleisch. Das Ganze gemahnt an eine wahnwitzige Schachpartie. Der stümperhafteste Akteur an diesem Schachbrett war dabei Winston Churchill, der es fertigbrachte, die USA in einen nicht in ihren Interessen liegenden Krieg zu locken und dadurch das Britische Weltreich, das er selbst zu verkörpern wähnte, zum Untergang verurteilte.


Dokumente, die im Jahre 1945 als streng geheim klassifiziert wurden, doch nun endlich vom in Kew, London, residierenden Public Record Office (Amt für Staatsdokumente) freigegeben worden sind, gewähren uns einen außergewöhnlichen Einblick in die Mentalität Winston Churchills. Keine zwei Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich die britischen Medien und ein Großteil der britischen Öffentlichkeit vor Begeisterung für ihren „glorreichen sowjetischen Verbündeten” kaum zu fassen vermochten, schmiedete Churchill bereits Pläne für einen Präventivschlag gegen seinen kommunistischen Bündnispartner, der, so hoffte er, die »Ausmerzung Rußlands« (sic!) ermöglichen werde. Dies geht aus den eben erwähnten Dokumenten hervor.

Dank der gewaltigen von den USA und Großbritannien empfangenen materiellen und technischen Hilfe stand die Rote Armee damals trotz ungeheuerlicher, auf 12 bis 20 Millionen Mann geschätzter Verluste, tief im Herzen Europas. Ohne diese Unterstützung hätten die Sowjets den Krieg nie und nimmer gewinnen können. Doch im Frühling 1945 wären sie durchaus in der Lage gewesen, in einem Eilmarsch bis zu den Häfen am Ärmelkanal vorzustoßen und dem Bolschewismus auch in Westeuropa zum Durchbruch zu verhelfen. Kommunistische Marionettenregime griffen zu jenem Zeitpunkt in Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn bereits nach der Macht; einige Zeit darauf sollte auch die Tschechoslowakei an die Reihe kommen. Die Kommunistische Partei Großbritanniens erfreute sich eines ungeahnten Zulaufs an Mitgliedern und verfügte über beträchtlichen gesellschaftlichen Einfluß.

Um der befürchteten Gefahr eines sowjetischen Vorstoßes nach Westen zu begegnen, entwarfen Churchills Berater auf sein dringendes Gesuch eilends einen Schlachtplan, der den Einsatz von bis zu 100.000 wiederbewaffneten deutschen Soldaten vorsah; diese sollten eine halbe Million britischer und amerikanischer Wehrmänner bei einem von Norddeutschland aus lancierten Angriff unterstützen.

Die Staatsoberhäupter Großbritanniens sowie der Vereinigten Staaten von Amerika fürchteten, als Vergeltung werde Stalin alsbald in der Türkei, Griechenland und Norwegen einmarschieren sowie die Ölfelder des Irak und Iran besetzen; parallel dazu würden kommunistische Sabotagetrupps in Frankreich und Holland umfangreiche Aktivitäten entfalten.

Im Februar 1945 hatte George Kennan, amerikanischer Chargé d’affaire in Moskau, einen Bericht nach Washington gesandt, in dem er warnend darauf hinwies, daß die bevorstehende Niederlage Deutschlands die den Sowjets eigene Aggressivität beträchtlich gesteigert habe. Kennan zitierte eine am 9. Februar 1945 gehaltene Stalin-Rede, in welcher der Kremlherrscher den Zusammenbruch Deutschlands als Beweis dafür bejubelte, daß das Sowjetsystem obsiegt habe und sich überall durchsetzen werde. Der Sinn von Kennans Botschaft lag darin, daß ein neuer Konflikt bevorstehe.

Frank Robert, Chargé d’affaire Großbritanniens in Moskau, sandte Telegramme ganz ähnlichen Inhalts nach London. Dies hatte zur Folge, daß das britische Außenministerium am 2. April ein »Rußlandkomitee« aus der Taufe hob, dem die Aufgabe oblag, einen Plan für die Welt nach Kriegsende zu entwerfen, in welchem die UdSSR im feindlichen Lager stand.

Der fähigste sowjetische Feldherr, Marschall Juri Schukow, führt eine Gruppe von Sowjetoffizieren im April 1945 die Treppen des Reichstags hinunter. Erst kurz zuvor ist der Widerstand in Berlin erloschen. Der britische Militärhistoriker A.J.P. Taylor hat ermittelt, daß die letzte große Offensive der Roten Armee, die bis nach Berlin und noch weiter westwärts führen sollte, eigentlich am 20. Januar hätte beginnen sollen. Doch unter Berufung auf den von Amerikanern und Briten im Dezember 1944 erlittenen Rückschlag in den Ardennen ersuchte Churchill Stalin, die Offensive acht Tage früher zu entfesseln.

Der erste Bericht dieses Komitees unterbreitete Vorschläge für eine »koordinierte Verteidigung gegen eine langfristige Aggression«. Er bildete den Hintergrund für den am 22. Mai eingereichten Bericht des integrierten Planungsstabes.

Zu jenem Zeitpunkt hatte sowohl die britische als auch die amerikanische Regierung die Konsequenzen aus dem Vorstoß der Roten Armee ins Herz Europas gezogen und erkannt, daß Stalin seinen Triumph nach Kräften auszuschlachten gedachte.

Doch sollte noch einige Zeit vergehen, bis der neue US-Präsident Harry Truman sich bequemte, seine Illusionen über die Möglichkeiten einer amerikanisch-sowjetischen Freundschaft über Bord zu werfen.

Der Bericht des britischen integrierten Planungsstabes war unter diesen Umständen vermutlich unrealistisch, da er davon ausging, der darin dargelegte Plan zur Eindämmung der Sowjetaggression werde zwangsläufig die Unterstützung der Amerikaner gewinnen.

Unrealistisch war auch die Annahme, daß die amerikanische und die britische Öffentlichkeit nach der Überwindung des ersten Schocks einen Krieg gegen die UdSSR unterstützen werde, auch wenn sich letztere noch so provokativ gebärdete. In Wahrheit verhielt es sich genau umgekehrt, wurde die Rote Armee doch in Großbritannien wie auch in Amerika geradezu inbrünstig verehrt. Nachdem Feldmarschall Montgomery ein Telegramm von Churchill erhalten hatte, in welchem er aufgefordert wurde, die erbeuteten deutschen Waffen sorgfältig zu stapeln, da man sie der Wehrmacht möglicherweise zur Bekämpfung eines sowjetischen Angriffs rasch wieder zurückgeben müsse, bemerkte er sarkastisch, er zweifle sehr daran, daß seine Truppen und Offiziere zu einem Krieg gegen die Sowjetunion gewillt seien.

Der Grund dafür, fügte Montgomery hinzu, liege darin, daß den britischen Soldaten jahrelang eingetrichtert worden sei, der gutmütige Uncle Joe und seine Rote Armee seien Britanniens beste Verbündete und Freunde. Hinzuzufügen wäre noch, daß jeder Brite, der diese Auffassung in Frage stellte, mit seiner Verhaftung und Internierung rechnen mußte.

Nichtsdestoweniger enthüllen die vom integrierten Planungsstab entworfenen Pläne, wie beunruhigt die britischen Armeeführer angesichts der Gefahr eines sowjetischen Angriffs waren.

Churchill sah sich nun einem Dilemma gegenüber, für das er weitgehend selbst verantwortlich war. Drei Monate lang wußten weder die Westalliierten noch die Sowjets, was die Gegenseite im Schilde führte. Churchill gelangte zum Schluß, vermutlich werde die Rote Armee die Grenzen ignorieren, die er mit Stalin abgesprochen hatte, als sie Europa am Konferenztisch aufteilten. Deshalb, meinte Churchill, bestand die einzige Garantie zur Verhinderung einer sowjetisch diktierten Neuen Weltordnung in einem Angriff auf Stalins Heere, ehe diese dazu kamen, sich bei ihrem chaotischen Vorstoß gegen Westen neu zu formieren.

Es lag eine düstere, bittere Ironie in Churchills Haltung. Im Juni 1941 hatte Adolf Hitler einen wuchtigen und durchaus gerechtfertigten Präventivschlag gegen die an Deutschlands Ostgrenzen massierten Einheiten der „reformierten” Roten Armee geführt. Im Gleichklang mit seinem Spießgesellen und Mitkriegstreiber Roosevelt brandmarkte Churchill diesen erzwungenen Erstschlag als »unprovozierte, nackte Aggression«. Roosevelt lobte die Sowjets als wertvolle Bundesgenossen gegen die „Hunnen” über den grünen Klee.

Als das Unternehmen Barbarossa begann, lag die Zerschlagung der Sowjetunion und die Ausmerzung der weltweiten kommunistischen Bedrohung augenscheinlich in britischem Interesse. Doch statt ein vernünftiges Abkommen mit Deutschland zu schließen, entschied sich Churchill, durchdrungen von brennendem Neid gegenüber Hitler und dessen Errungenschaften, für die Allianz mit dem barbarischen Gewaltregime in Moskau und besiegelte somit das Geschick Osteuropas auf lange Jahrzehnte hin; für unzählige Millionen Menschen sollte dieser Schritt bittere Knechtschaft und oft genug auch den Tod bedeuten. Wer immer in Großbritannien den Mut aufbrachte, Churchills rücksichtsloser Politik Widerstand entgegenzusetzen, wurde wüst verleumdet und nicht selten auch eingesperrt. Doch heute wird die Kritik an Churchills Kriegspolitik in unserem Lande immer lauter; unter den Kritikern befinden sich auch Historiker von Rang wie der ehemalige Rüstungsminister Alan Clark, der Churchill vorwirft, Britannien für ein Linsengericht an die USA verschachert zu haben.

Glaubte Churchill wirklich, die in englischen und amerikanischen Gefangenenlagern dahinvegetierenden deutschen Soldaten würden sich freudig um ihn scharen und gegen die Sowjets zu Felde ziehen? Schließlich hatte er Deutschland verwüstet, seine schönen Städte in Schutt und Asche gelegt, unzählige wehrlose Zivilisten ohne jede militärische Notwendigkeit mit Brandbombenteppichen massakriert und die deutschen Führer als gewöhnliche Verbrecher beschimpft. Er hatte die Herstellung Hunderttausender von mörderischen Milzbrandbomben angeordnet, die er noch kurz vor Kriegsende auf die deutschen Städte und Landwirtschaftszonen abwerfen wollte; nur die mangelnde Begeisterung der USA für den Einsatz dieser teuflischen Waffen vereitelte die Ausführung dieses Vorhabens.

Der Inhalt des auf Churchills Drängen von seiner Beratermannschaft entworfenen Kriegsplans ist außerordentlich interessant und spricht Bände über die Denkweise der damaligen britischen Militärführer. Am 22. Mai 1945, nur fünf Tage nach der von Admiral Dönitz, dem Oberbefehlshaber der Deutschen Streitkräfte, unterzeichneten formellen bedingungslosen Kapitulation, händigte Generalleutnant Sir Hastings Ismay, Leiter von Churchills Beraterstab, seinem Chef den Bericht aus. In diesem wurde die Möglichkeit angedeutet, daß der Dritte Weltkrieg bereits am 1. Juli 1945 beginnen könnte. Der Bericht ließ das Undenkbare denkbar werden; es hieß darin:

Der deutsche Rüstungsminister Albert Speer (im leichten Mantel) trifft sich mit Arbeitern einer Flugzeugfabrik, bei denen es sich nun, in der letzten Kriegsphase, meist um Jungen und ältere Männer handelt. Daß sie noch unter außergewöhnlich widrigen Umständen gewaltige Mengen an Kriegsmaterial produzieren konnten, ist ein eigentlich ein industrielles Wunder. Doch mit dem sowjetischen Vormarsch nach Westen fielen große Bestände an deutschem Kriegsmaterial der Roten Armee in die Hände.

»Das übergeordnete - oder politische - Ziel besteht darin, Rußland den Willen der USA sowie des Britischen Weltreichs aufzuzwingen. Auch wenn dieser „Wille” nichts anderes beinhalten sollte als eine faire Behandlung Polens, braucht dies die militärischen Optionen durchaus nicht notwendigerweise einzuschränken. Ein rascher Erfolg könnte die Russen dazu bewegen, sich unserem Willen wenigstens vorderhand zu beugen, doch sicher ist dies keinesfalls. Der Entscheid liegt bei den Russen selbst. Wenn sie den totalen Krieg wollen, können sie ihn auch bekommen.«

Der Bericht hielt jedoch nachdrücklich fest, daß die Westalliierten keineswegs auf einen »totalen Krieg« hinarbeiten sollten, der in einem militärischen Kräftemessen mit der Roten Armee längs einer von Hamburg im Norden bis Triest im Süden reichenden Front bestanden hätte.

Der Stab des Kriegskabinetts kam zu dem Schluß, die 105 in Europa stationierten anglo-amerikanischen Divisionen würden nie und nimmer erreichen können, was Napoleon und Hitler versagt geblieben war.

Für die Sowjets, so der Tenor des Berichts, stelle die riesenhafte Größe ihres Landes einen erstrangigen Trumpf dar, die jede Besetzung zwecks Vernichtung seines Kriegspotentials unmöglich mache. Auch die Machtbalance in Europa sprach zugunsten der Sowjets. Weiter hieß es:

Um Rußland in einem totalen Krieg eine entscheidende Niederlage beizubringen, wäre die Mobilisierung von Soldaten erforderlich, die den gegenwärtigen enormen Menschenreserven der Russen gewachsen wären. Dies ist ein sehr langfristiges Projekt und würde folgendes bedingen: a) Die Stationierung eines großen Teils der gewaltigen US-Menschenreserven in Europa; b) Die Wiederausrüstung und Reorganisierug der Menschenreserven Deutschlands sowie sämtlicher westlicher Alliierter.

Wenn der totale Krieg nicht zu gewinnen war, wie stand es dann um einen begrenzten Feldzug? Churchills Beraterriege verfocht die Auffassung, die beste Lösung bestünde in einem von 47 britischen und amerikanischen Divisionen vorgetragenen Angriff; 14 dieser Divisionen müßten gepanzert sein, und die Offensive müsse in zwei Richtungen verlaufen, erstens längs der deutschen Ostseeküste bis nach Stettin und zweitens weiter südlich in Richtung Posen. Beide Städte lagen auf einem Territorium, das zu jenem Zeitpunkt bereits polnisch besetzt war. Man hoffte, zehn polnische Divisionen würden den Angriff unterstützen. Erwogen wurde eine Möglichkeit, welche für die meisten britischen Soldaten nur schwer zu schlucken gewesen wäre, nämlich die Wiederbewaffnung von bis zu zehn deutschen Divisionen unter einem neuformierten Deutschen Oberkommando. In einem Anhang wurden mögliche deutsche Reaktionen auf einen Konflikt zwischen Westalliierten und Sowjets erörtert. Die Verfasser des Berichts schätzten den Wert der Mobilisierung von bis zu 100.000 auf anglo-amerikanischer Seite kämpfender deutscher Soldaten wie folgt ein:

»Die Haltung der deutschen Bevölkerung wird hauptsächlich durch Kriegsmüdigkeit geprägt sein. Doch die tiefverwurzelte Furcht vor der bolschewistischen Bedrohung sowie vor sowjetischen Repressalien sollte dazu führen, daß die deutsche Zivilbevölkerung eine anglo-amerikanische Besetzung einer sowjetischen vorzieht und deswegen zur Unterstützung der westlichen Allianz tendiert.«

Die noch scharenweisen in Lagern einsitzenden deutschen Kriegsgefangenen würden »eine höchst gefährliche Quelle potentieller Unruhe« bilden, wenn man sie freilassen würde. Insgesamt wäre der deutsche Kriegsveteran ein unzuverlässiger Bündnispartner, folgerten die Autoren des Plans, denn trotz der deutschen Niederlage empfinde er ungemeine Erleichterung über das Kriegsende.

In Betracht zu ziehen seien auch die Auswirkungen, welche folgende Faktoren auf die Kampfmoral haben würden:

»Der unvermeidliche Schock, den ein Frontwechsel auslöst; die bekannten Härten eines Krieges an der Ostfront; Kriegsmüdigkeit sowie schließlich eine gewisse Schadenfreude darüber, daß sich Westalliierte und Sowjets gegenseitig an die Gurgel fahren.«

General George S. Patton Junior (rechts) und General Omar Bradley (links) am 21. Mai 1945, außerhalb von General Dwight D. Eisenhowers Hauptquartier im französischen Reims. Nachdem Eisenhower den Deutschen einen Separatfrieden mit den Westalliierten verweigert hatte, unterschrieben diese am 7. Mai in diesem Gebäude die bedingungslose Kapitulation.

Dennoch, so die Schlußfolgerung der Pläneschmiede, könnten die Deutschen aufgrund ihrer Bolschewistenfurcht eine nützliche Rolle spielen.

Während die Infanterie nach Osten vormarschierte, würde die Königliche Britische Flotte die Ostseeküste entlang segeln, die linke Flanke des Angriffs unterstützen und die rechte Flanke der Sowjets unter Beschuß nehmen, ohne große Gegenwehr befürchten zu müssen. Die britische sowie die amerikanische Luftwaffe würden von Stützpunkten in Dänemark und Norddeutschland aus operieren; wohl waren sie der sowjetischen Luftwaffe zahlenmäßig unterlegen, doch dafür technisch besser ausgerüstet. Insgesamt waren die hypothetischen Angreifer in jeder Hinsicht zahlenmäßig schwächer. Ihnen standen 110 Sowjetdivisionen gegenüber, von denen 30 gepanzert waren. Die Verfasser des Plans rechneten auch mit von den Sowjets angestifteten und von örtlichen Kommunisten durchgeführten Sabotageakten in Westeuropa.

Selbst unter der Annahme, daß der Durchbruch gelang und die Schlacht dank dem Überraschungseffekt sowie der besseren Ausrüstung der westlichen Truppen gewonnen werden konnte, stellte sich die Frage, was als nächstes geschehen solle:

»Eine überlegene Strategie sowie unsere Vorherrschaft in der Luft könnten uns den Sieg in der Schlacht einbringen, doch unsere strategische Lage basiert nicht auf einer Position der Stärke; somit wären wir auf Gedeih und Verderb vom taktischen Ausgang einer großen kriegerischen Auseinandersetzung abhängig.«

Die Sowjets würden Vergeltung üben; sie konnten - weit im Süden, bei Trondheim - in Norwegen einfallen, die Türkei sowie Griechenland binnen einiger Tage in die Knie zwingen und praktisch ohne Widerstand die Ölfelder Persiens und des Irak besetzen, wo elf Divisionen der Roten Armee lediglich drei indische Divisionen gegenüberstanden. Weiter hieß es:

»Wollen wir uns auf einen Krieg gegen Rußland einlassen, so müssen wir uns auf einen totalen Krieg vorbereiten, der lang und kostspielig sein wird. Unsere zahlenmäßige Unterlegenheit zu Lande läßt die Chance auf einen auch nur begrenzten schnellen Sieg äußerst fraglich erscheinen, selbst wenn ein solcher als ausreichend zum Erreichen unserer politischen Ziele betrachtet würde.«

Churchill bat Generalleutnant Ismay, den die Codebezeichnung »Undenkbar« tragenden Bericht dem Komitee der Stabschefs zugänglich zu machen, welchem die höchstrangigen Offiziere angehörten: General Sir Alan Brooke, Chef des Reichsgeneralstabs; Flottenadmiral Sir David Cunningham; Luftfeldmarschall Sir Charles Portal.

Am 8. Juni erfolgte deren Antwort. Sie erteilten jeglicher offensiven Aktion gegen die Sowjets eine schroffe Absage und schlugen statt dessen vor, Großbritannien solle defensiv denken. Das Tempo der amerikanischen Demobilisierung nach Kriegsende beunruhigte die Stabschefs aufs schwerste. Das Komitee erinnerte Churchill an einige nackte Fakten: Die Sowjets hatten 264 Divisionen in Europa, davon 36 gepanzerte, während die Westalliierten bloß über 103 Divisionen verfügte, von denen 23 gepanzert waren. Die Rote Luftwaffe besaß 11.802 Flugzeuge mehr als der Westen; allerdings standen Amerikanern, Briten und Polen fast dreimal mehr schwere Bomber zur Verfügung als den Sowjets. Aus diesen Zahlen folgerten die Stabschefs:

»Das Kräfteverhältnis zu Lande läßt klar erkennen, daß wir nicht zu einer Offensive in der Lage sind, die einen raschen Erfolg verspräche. Da aber russische und alliierte Bodenstreitkräfte einander von der Ostsee bis zum Mittelmeer entgegenstehen, ist ein Landkrieg vollkommen unvermeidbar. Zur Unterstützung unserer Bodentruppen besäßen wir technisch überlegene, aber numerisch unterlegene taktische Luftstreitkräfte.

Was die strategischen Luftstreitkräfte betrifft, würde unsere zahlenmäßige und technische Überlegenheit in gewissem Umfang dadurch entwertet, daß es kaum strategische Ziele gäbe, wie sie in Deutschland bestanden haben; wir sähen uns gezwungen, diese strategischen Luftstreitkräfte als Ergänzung der taktischen Luftstreitkräfte bei der Unterstützung von Bodenoperationen einzusetzen.

Deshalb stünde es, wie wir meinen, nach dem Beginn der Feindseligkeiten nicht in unseren Kräften, einen wenn auch nur begrenzten raschen Erfolg zu erringen, und wir müßten uns auf einen langen Krieg unter ungünstigen Voraussetzungen gefaßt machen. Diese Voraussetzungen würden noch ungünstiger, wenn die Amerikaner kriegsmüde und gleichgültig würden und dem Krieg im Pazifik größere Bedeutung beimäßen.«

Diese Stellungnahme machte Churchill klar, daß das Motto „Angriff ist die beste Verteidigung” in diesem Fall nicht galt und daß er besser daran tat, den Schutz der Nation vor der sowjetischen Bedrohung rein defensiv zu betreiben.

Am 8. Juni schrieb er an Generalleutnant Ismay:

»Sollten die Amerikaner sich in ihre Besatzungszone zurückziehen und den Hauptteil ihrer Truppen in die USA zurückberufen bzw. in den Pazifik verlegen, liegt es in der Macht der Sowjets, bis zur Nordsee und zum Atlantik vorzustoßen. Bitte fertigen Sie eine Studie darüber an, wie wir unsere Insel verteidigen können, falls Frankreich und die Niederlande nicht in der Lage sind, einen sowjetischen Vorstoß zum Meer aufzuhalten.«

Churchill schloß wie folgt:

»Die Beibehaltung des Codeworts „Unthinkable” [Undenkbar] wird den Stäben verdeutlichen, daß es sich nach wie vor lediglich um eine vorsichtshalber erstellte Studie für eine hoffentlich nur hypothetische Situation handelt.«

Im ersten Entwurf hatte Churchill noch von einem »höchst unwahrscheinlichen Ereignis« gesprochen, doch hatte er diese Formulierung von Hand durchgestrichen und durch die oben zitierte ersetzt.

Nach Kriegsende ging es im Osten nicht weniger brutal zu als zuvor. Auf diesem Bild vom Sommer 1945 sehen wir ein deutsches Mädchen, das zwei Menschen beim Verlassen einer Berliner Eisenbahnstation stützen. Im Zug, der das Mädchen aus den von Polen usurpierten Gebieten nach Berlin brachte, war es von einer Bande von Jugendlichen vergewaltigt worden, bei denen es sich dem Vernehmen nach um Polen handelte.

Am 22. Juli legten die Berater einen Plan zur Verteidigung Großbritanniens gegen die Sowjets vor, in dem sie die Disposition der Streitkräfte festlegten. Sie vertraten die Ansicht, dank der britischen Überlegenheit zur See würden die Sowjets noch mehrere Jahre lang nicht zu einer Invasion in der Lage sein, doch liege eine schwere Bombardierung mit Raketen und Flugzeugen, die schlimmer sein würde als der deutsche „Blitz”, sehr wohl im Bereich des Möglichen. Mit seinem Deutschenhaß hatte es Churchill fertiggebracht, den Kalten Krieg zu entfesseln.

Die Dokumente des Staatsarchivs enthüllen gewissermaßen als Zugabe, daß die britische Regierung ein streng geheimes Telegramm vom US-Stabschef General Dwight D. Eisenhower erhielt, in dem dieser seiner Besorgnis Ausdruck verlieh. Diese war darin begründet, daß die fortgesetzte Gefahr eines sowjetischen Angriffs im Frühherbst 1946 konkretere Gestalt angenommen hatte, weil sich die Beziehungen zwischen den ehemaligen Verbündeten verschlechterten, besonders in Krisenzonen wie an der österreichisch-italienischen Grenze.

In seinem Telegramm schrieb Eisenhower, seiner Überzeugung nach bestehe das Risiko, daß »die Lage in Europa einen Punkt erreicht hat, wo die unkontrollierbare Entwicklung von Ereignissen, die auf einen lokalen Zwischenfall zurückgehen, zu einem großen Konflikt auswächst, auch wenn Rußland und wir diesen eigentlich gar nicht wollen«. Die Amerikaner verlangten die sofortige Ausarbeitung eines Aktionsplans.

So flog Feldmarschall Montgomery im September 1946 nach Amerika, um die Lage mit General Eisenhower zu besprechen. Die Dokumente belegen, daß die beiden Männer sich auf einer Jacht in Chesapeake Bay vor der Küste Virginias trafen. Von dieser Begegnung wußte die Geschichtsschreibung bisher nichts. Montgomery und Eisenhower einigten sich darauf, daß die Strategen beider Länder zusammenarbeiten sollten, und im November traf auf dem Dampfer Queen Elizabeth eine kleine Gruppe in den Vereinigten Staaten ein; es folgte eine Reihe von Besprechungen, die dermaßen streng geheimgehalten wurden, daß man für mittlere Offiziere im Pentagon eine Phantasiegeschichte ersann, um den wahren Zweck der Treffen zu vertuschen.

Die britischen und amerikanischen Spezialisten gelangten zur Schlußfolgerung, ein - als jederzeit möglich erachteter - sowjetischer Vorstoß könne nicht zurückgeschlagen werden. Die ins Auge gefaßte Strategie bestand in einem Rückzug auf Brückenköpfe in der Gegend von Zeebrügge und Dünkirchen, von wo die Truppen nach England evakuiert werden sollten.


Quellen:

 

  1. Bisher als streng geheim klassifizierte, doch am 1. Oktober 1998 zur Einsichtnahme freigegebene Dokumente des Public Record Office in Kew, London.
  2. Bericht des Daily Telegraph vom 1. Oktober 1998.

Vivian Bird ist ein britischer Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er hat zahlreiche Beiträge zu verborgenen Aspekten der Geschichte der westlichen Zivilisation verfaßt. Bird wohnt heute in Devon, England. Dieser Beitrag erschien zuerst in englischer Sprache unter dem Titel »How Churchill Planned WWIII Against Stalin« in The Barnes Review, 5(3) (1999), S. 17-21 (130 Third Street SE, Washington, D.C., 20003, USA). Übersetzung von Jürgen Graf.


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 4(1) (2000), S. 69-73.

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